Sexualpädagogik / Sexualerziehung

„Sexuelle Bildung ist konkret und brauchbar. Sie muss weltoffen sein und die Realität zeigen, wie sie ist und nicht, wie Pädagoginnen und Pädagogen sie gern hätten“ (Sielert 2015: 21)   

Grundlage für das Verständnis von Sexualpädagogik/ Sexualerziehung ist das Verständnis menschlicher Sexualität, diese „ist mehr als Genitalität, beschränkt sich also nicht auf Körperfunktionen und Fortpflanzungsgeschehen“ (Sielert 2015: 25), sondern schließt auch (emotionale) Aspekte der Persönlichkeits- und Identitätsbildung mit ein. Auch der Richtlinie für die Sexualerziehung in Nordrhein-Westfalen liegt „ein umfassender, ganzheitlich-personaler Begriff menschlicher Sexualität zugrunde“ (Schulministerium NRW 2011: 7). Damit wird ein Begriff von Sexualität zugrunde gelegt der deutlich mehr Aspekte umfasst als umgangssprachlich darunter verstanden wird. Dementsprechend vielseitig ist die Sexualpädagogik/ Sexualerziehung. Das spiegelt sich auch im Schulordnungsgesetz wieder, welches die Grundlage für die Sexualpädagogik/ Sexualerziehung in der Schule bildet:

„Die Sexualerziehung gehört zum Erziehungsauftrag der Schule. […] Ihr Ziel ist es, die Schüler altersgemäß mit den biologischen, ethischen, sozialen und kulturellen Fragen der Sexualität vertraut zu machen. Sie soll die Schüler zu verantwortungsbewussten, eigenverantwortlichen und sittlich begründeten Entscheidungen gegenüber anderen Lebensweisen befähigen“ (SchOG §1 Absatz 5).

In der Gesellschaft und auch bei Pädagogen und Pädagoginnen herrscht allerdings noch oftmals die Ansicht, dass eine rein körperliche Sexualaufklärung und der „gesunde Menschenverstand“ ausreiche um eine gelingende sexuelle Entwicklung zu gewährleisten, allerdings zeigt sich, dass das zu kurz gegriffen ist und Kinder- und Jugendliche einen Bedarf über eine körperliche Sexualaufklärung hinaus haben (vgl. Sielert 2015: 31), daher wird andererseits „Sexualerziehung (…) zunehmend als Querschnittsaufgabe aller institutionalisierten Erziehungsbereiche (verstanden), die sich mit ihren jeweiligen Akzenten und Chancen miteinander vernetzen“ (Sielert 2015: 28). Daher sieht auch die Richtlinie für Sexualerziehung eine „Kooperation mit Expertinnen und Experten sowie außerschulischen Einrichtungen“ (Schulministerium 2011: 19) vor.

In der Praxis zeigt sich zudem, dass LehrerInnen es schwer haben, sich als Vertrauensperson zu etablieren, weil sie gleichzeitig Zensuren vergeben müssen. Jugendliche wünschen sich viel mehr neutrale und fachlich kompetente Personen für ihre Sexualaufklärung. (vgl. Pro Familia) Daher ist es besonders in der Sexualerziehung wichtig die Wissensvermittlung mit außerschulischen Kooperationen zu ergänzen, bei denen Schülerinnen und Schüler in einer offenen, bejahenden und  respektvollen Atmosphäre ohne Beisein der Lehrer, möglichst offen sprechen und fragen können. (vgl. Lore-Agnes-Haus)

Ebenfalls Grundlage der Sexualpädagogik/ Sexualerziehung ist eine ethisch-rechtliche Ausrichtung, wie sie sich in den Richtlinien zur Sexualerziehung und im Grundsatzpapier des Fachverbandes „Gesellschaft für Sexualpädagogik“ zeigt und wie sie in der Schule gelebt und vermittelt wird. (Jeder an der GBS hat das Recht auf einen respektvollen, gleichberechtigten und friedlichen Umgang. / Jeder an der GBS hat das Recht auf Schutz der eigenen Persönlichkeit und Gesundheit):

„Ihre (die Sexualerziehung) Grundlagen bilden das Grundgesetz vor allem in Hinblick auf die Achtung vor der Würde des Menschen, die freie Entfaltung der Persönlichkeit, Toleranz und Achtung vor den Überzeugungen und Lebensweisen der anderen und den besonderen Schutz von Ehe und Familie, die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, das Schulordnungsgesetz und die Richtlinien und Lehrpläne der einzelnen Schulformen“ (Schulministerium NRW 2011)„Die ethisch-rechtliche Ausrichtung der Sexual-pädagogik basiert in einer demokratischen Gesellschaft auf den Menschenrechten, dem Grundsatz und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Diese garantieren auch in den Bereichen von Sexualität und Partnerschaft ein Leben in Selbst-bestimmung zu führen mit der Verpflichtung, andere durch das eigene Verhalten nicht zu schädigen.“ (Gesellschaft für Sexualpädagogik zit. nach Sielert 2005)

Kultur- und Wertesensibler Umgang

„An vielen Schulen sind Lerngruppen auch im Hinblick auf Religion, Kultur und Weltanschauung heterogen. Respekt, Achtung des Schamgefühls und das Toleranzgebot gegenüber Kindern und Jugendlichen gebieten es, besonders einfühlsam über die Werte und Normen hinsichtlich der Sexualität und des Sexualverhaltens in unserer Gesellschaft zu informieren und sie im Unterricht zu berücksichtigen.“ (Schulministerium NRW 2011: 10) Das trifft im besonderen Maße auf die Gertrud-Bäumer-Realschule mit einem hohen Anteil an muslimisch geprägten Schülerinnen und Schülern zu. Die „mögliche Entscheidung für Verzicht und Enthaltsamkeit“ (Schulministerium NRW 2011: 14) ist als eine soziale Norm mitgedacht und steht gleichberechtigt und wertfrei neben anderen Normen. Über den kultursensiblen Umgang hinaus „(schließt es) das Ziel der sexuellen Mündigkeit […] aus, den Schülerinnen und Schülern im Unterricht bestimmte Auffassungen oder Konzepte gelungenen sexuellen Lebens aufzudrängen.“ (Schulministerium NRW 2011: 11) Unabhängig davon ist es Aufgabe der Schule Wissen auch rund um das Thema Sexualität zu vermitteln und „…sich mit der in der Gesellschaft vorhandenen Pluralität und Diversität auseinandersetzen. Die Vielfalt erfasst verschiedene Aspekte der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, u.a. diverse sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten, ethische, kulturelle und religiöse Überzeugungen sowie Erfahrungen mit und Einstellungen zu Sexualität und Beziehungen“(Gesellschaft für Sexualpädagogik zit. Nach Sielert 2005: 65f.). „Dem Sexualverhalten anderer sollen auch dann Respekt und Toleranz entgegengebracht werden, wenn sich dieses vom eigenen und gewohnten Sexualverhalten unterscheidet…“ (Schulministerium NRW 2011:8)

„Lehrerinnen und Lehrer sind zur besonderen Toleranz und Rücksicht gegenüber den unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen und verschiedenen Wertvorstellungen der Eltern zu Fragen menschlicher Sexualität verpflichtet“ (Schulministerium NRW 2011: 8) Die Rücksichtnahme zeigt sich in der Praxis u.a. darin, dass sexualpädagogische Inhalte nicht während des Ramadans behandelt werden.

Auch unsere außerschulischen Kooperationspartner pflegen einen kultur- und wertesensiblen Umgang.

Umsetzung der Sexualpädagogik

Bereits zu Beginn steht der Satz: „Sexuelle Bildung ist konkret und brauchbar.“ (Sielert 2015: 21) Es geht bei Sexualpädagogik an der Schule also vor allem darum wie erreichen wir die Schülerinnen und Schüler konkret und so, dass die Schülerinnen und Schüler einen Mehrwert für ihre Entwicklung daraus ziehen können. Die oben beschriebene Zielsetzung von Sexualpädagogik hebt immer wieder die Mündigkeit/ Selbstbestimmung hervor, konkret heißt das: „Die Fähigkeit zur Selbstbestimmung wird vorausgesetzt, obwohl sie noch im Entstehen ist, aber genau dadurch wächst sie. Die Gestaltung von Lernumgebungen und alle Bildungsanstrengungen sind auf diesen Prozess abzustimmen.“ (Sielert 2015: 21)

Dies ist die Aufgabe der Schule zusammen mit Kooperationspartner anhand von konkreten Inhalten, die durch die Richtlinie zur Sexualerziehung in Nordrhein-Westfalen vorgegeben sind:

  • Beziehung und Sexualität
  • Geschlechterrollen
  • Familie und andere Formen des Zusammenlebens
  • Sexuelle Orientierung und Identität
  • Körper und Sexualität
  • Empfängnisverhütung
  • Schwangerschaftskonflikte und Kinderlosigkeit
  • Sexueller Missbrauch und sexuelle Gewalt
  • Sexuell übertragebare Krankheiten, Hepatitis B und AIDS

Eine Vielfalt der Umsetzung innerhalb und außerhalb des regulären Unterrichtes soll dazu beitragen, dass die verschiedenen Schülerinnen und Schüler erreicht werden.

Auf der einen Seite steht die konkrete Umsetzung im Unterricht, die Anhand der kompetenzbasierten „Ich kann…“ Aussagen aus den schulinternen Lehrplänen dargestellt sind und inhaltlich sehr klar strukturiert sind, auf der anderen Seite stehen die Umsetzung durch außerschulische Partner und Experten (oder andere außerunterrichtliche Formen), die je nach Angebot freier im Inhalt sind und sich vor allem durch die Fragen und Themen der Schülerinnen und Schüler bestimmen.

Seit 1983 ist das Lore-Agnes-Haus in Essen Anlaufstelle für alle Fragen rund um Sexualität, Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbruch. Das Lore-Agnes-Haus bietet sowohl die sexualpädagogischen Angeboten für Schulklassen, als auch Beratung (vor Ort und anonym im Chat), die Schülerinnen und Schüler lernen neben den vermittelten Inhalten auch das Lore-Agnes-Haus als mögliche individuelle Anlaufstelle kennen.

Beim Besuch im Lore-Agnes-Haus können Schülerinnen und Schüler in einer offenen, bejahenden und respektvollen Atmosphäre in geschlechtshomogenen Gruppen ohne Beisein der Lehrer, möglichst offen sprechen und fragen: „Eigene Vorstellungen darüber, wie denn der „Sex“ nun sein „muß“ (sic), damit es „richtig“ geht, können in einer solchen Atmosphäre leichter angesprochen werden. […] „Stimmt das, wenn…..“ und  „Aber ich hab im Internet gesehen…..“ sind willkommene Einladungen zum gegenseitigen, respektvollem Austausch in der Gruppe und zum wohlmeinendem Ergänzen von Halbwissen […] Dies muß (sic) selbstverständlich empathisch und rücksichtsvoll, aber auch freundlich und unterhaltsam geschehen. Konkretes Wissen und Informationen über körperliche und emotionale Vorgänge in der Sexualität sind nicht generell Tabu und jede Frage hat ihre Berechtigung. Hier steht eine altersgerechte und situative Aufbereitung im Vordergrund. […] Phantasien, Tatsachen und Gerüchte bekommen den geeigneten Raum, um vorgetragen und konkret besprochen zu werden und ein oft vorhandenes Halbwissen kann erweitert werden. Dabei geht es auch um Normen und Wertvorstellungen, um Fragen der Grenzziehung und der Entfaltung von Individualität, Gleichberechtigung, Ethik und Moral“ (Lore-Agnes-Haus).

Was im Einzelnen zur Sprache kommt und was die Klasse wissen möchte, sehen die Sexualpädagogen, wenn die Schülerinnen und Schüler vor Ort sind, ihre Fragen stellen und an der Art, wie sie auf das Thema reagieren. Auch wenn sich viele Fragen auf Körper & Sexualität beziehen, gibt es auch Raum für Fragen und Austausch  über Gefühle. Dabei wird der konkrete Inhalt durch die Fragen der Schülerinnen und Schüler bestimmt (vgl. Lore-Agnes-Haus).

Die Ärztliche Gesellschaft zur Gesundheitsförderung e.V. (ÄGGF) ist ein Zusammenschluss aus Ärztinnen und Ärzten im gesamten Bundesgebiet. Deren Ziel ist es, die schulische Gesundheits- und Sexualerziehung durch das Angebot einer Informationsstunde – an der Gertrud-Bäumer Realschule unter dem Titel „Fragen an eine Ärztin“ bekannt –  um einen ärztlichen, präventiven Aspekt zu ergänzen und zu erweitern.

Aktuell besteht die ÄGGF aus ca. 80 Ärztinnen und Ärzte, von der Fr. Dr. med. Schoonbrood an die Gertrud-Bäumer-Realschule kommt um speziell mit den Mädchen über gesundheitsrelevante Themen im Rahmen der Sexualerziehung zu sprechen und ihre Fragen zu beantworten. Dank ihres Fachwissens genießt sie das Vertrauen der Schülerinnen über die verschiedenen Jahrgänge hinweg (vgl. ÄGGF).

Auch die Querschnittthemen der Sexualpädagogik Geschlechterrollen, Familie und andere Formen des Zusammenlebens, Sexuelle Orientierung und Identität, Sexueller Missbrauch und sexuelle Gewalt werden zum Teil im Unterricht und durch Projekttage mit verschiedenen externen Kooperationspartnern behandelt.

Dieses Konzept ist nicht als abgeschlossen sondern als Prozess zu verstehen, welches um weitere Inhalte, Projekte und Kooperationspartner wachsen wird.

(Stand 11/21, En)

Quellen:

Sielert, Uwe „Einführung in die Sexualpädagogik“ Weinheim/ Basel 2015

Pro Familia: https://www.profamilia.de/fileadmin/landesverband/lv_nordrhein-westfalen/nrw-sexualpaedagogik/10_20-S_SexPaed_052011_RZ.pdf (Zugriff: 01.07.2019)

Lore-Agnes-Haus: https://www.lore-agnes-haus.de/gruppen/sexualpaedagogik-fuer-schulklassen-und-jugendgruppen/ (Zugriff: 24.06.2019)

Schulministerium NRW „Richtlinien zur Sexualerziehung in Nordrhein-Westalen“ Düsseldorf 2011

Gesetz zur Ordnung des Schulwesens im Lande Nordrhein-Westfalen (Schulordnungsgesetz – SchOG)

Heroes: https://www.heroes-net-duisburg.de/ (Zugriff: 24.06.2019)

ÄGGF: https://www.äggf.de/ueber-uns/ (Zugriff: 06.01.2020)